Stahlbeton – die Bauweise mit dem Riss im Beton

Risse im Bauwerk sind wahrscheinlich die häufigste Ursache für Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bauherrn und der ausführenden Firma. Um so erstaunlicher mag es klingen, wenn bei der Stahlbetonbauweise bewusst eine Rissbildung angestrebt wird.

Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Elastizität der Baustoffe Beton und Stahl. Der Stahl ist in Form von Bewehrungsstäben in den Beton eingebettet. Bei einer Biege- oder Zugbelastung des Stahlbetonbauteils dehnt sich der Stahl – ähnlich einer Feder – bis er in der Lage ist die Last aufzunehmen. Dieser Dehnung kann der Beton nicht folgen, so dass er reißt. Die Zuglasten werden damit vollständig vom Stahl übernommen. Dieses Zusammenwirken von Beton und Stahl ist gewollt, denn der Beton hat gute Eigenschaften Druckkräfte aufzunehmen und der Stahl ist für die Zugkräfte zuständig.

 

Riss im Beton

Nahaufnahme eines Risses in der Betonoberfläche

Keine Risse im Beton erwünscht – stattdessen Risse im Beton?

Zwar ist es in vielen Fällen nicht von Bedeutung, wenn Risse im Stahlbetonbauteil entstehen, jedoch gibt es auch Anwendungsfälle, bei denen dies nicht erwünscht ist. Dabei geht es meist nicht nur um die Optik, sondern auch um die Lebensdauer des Bauteils. So sind beispielsweise Risse im Bereich von mit Streusalz behandelten Betonflächen sehr ungünstig, da damit das gelöste Salz bis zum Bewehrungsstahl vordringen kann und diesen durch Korrosion zerstört.

Um diesen Widerspruch zu lösen, gibt es mehrere Ansätze. Der naheliegenste ist, keine Biege-/Zugkräfte auftreten zu lassen, so dass sich der Beton nicht bis zur Rissbildung dehnen muss. Da nur die wenigsten Bauteile ausschließlich Druckkräfte erhalten, bedient man sich eines Tricks. Wird das Betonbauteil nach der Herstellung mit hohen Kräften zusammengespannt, werden sich auch bei auftretenden Biege- und Zugkräften keine Risse einstellen. Diese besondere Art des Stahlbetons nennt man Spannbeton. Da jedoch die Spannbetonbauweise sowohl in der Planung, als auch in der Herstellung und Wartung einen deutlichen Mehraufwand erzeugt, wird sie vorrangig für besondere Bauteile oder Bauwerke (z. B. Brücken) eingesetzt und dabei auch nicht in erster Linie zur Vermeidung von Rissen.

Eine andere Überlegung ist, anstatt eines größeren Risses viele kleinere Risse entstehen zu lassen. Der Vorteil dabei ist, dass sehr kleine Risse optisch nicht wahrgenommen werden und sogar Wassertropfen nicht eindringen können. Dieses Ziel erreicht man einerseits, indem man statt wenigen großen viele kleine Bewehrungsstäbe im Beton integriert und andererseits auch einen größeren Stahlanteil verwendet, als für die Standsicherheit erforderlich wäre. Diese Maßnahme wird in der Fachsprache als „Rissbreitenbeschränkung“ bezeichnet.

Viel Stahl und (k)eine Risse im Beton?

Wie so oft in der Technik, hat man auch hier mit gegenläufigen Interessen zu kämpfen. Wird die geplante Rissbreite sehr klein, werden große Mengen an Bewehrungsstahl erforderlich. Damit steigen die Kosten erheblich und die Wirtschaftlichkeit sinkt.

Es liegt also nahe, dass man für unterschiedliche Anwendungsfälle unterschiedliche Rissbreiten anstrebt. So wird ein Keller im Grundwasser höhere Anforderungen erfüllen müssen, als eine Deckenplatte zwischen zwei Wohnungen. Weil aber die Rissbildung durch mehrere Faktoren beeinflusst wird, lassen sich auch die Rissbreiten nicht exakt vorhersagen. Die in der Planung und Auslegung angenommenen Rissbreiten können am fertigen Bauwerk über- oder unterschritten werden.

Bisher nicht erwähnt wurde das Schwindverhalten von Beton. Während des Erhärtungsvorgangs von Beton gibt dieser Wasser ab und verkleinert damit das Volumen. Denkt man an eine längere Betonwand, z. B. entlang der Grundstücksgrenze, so hat diese beim Erhärten das Bestreben sich zusammenzuziehen. Durch das Fundament wird sie daran gehindert und es entstehen – ganz ohne äußere Lasten – Risse. Sofern diese Risse unerwünscht sind, wird man auch hier eine entsprechende Bewehrung anordnen müssen.

 

Riss im Beton

Bei sorgfältiger Ausführung sind Risse im Beton nicht wahrnehmbar.

 

Risse im Beton?

Wer sich bis zu dieser Zeile durchgekämpft hat, wird erkennen, dass sich Risse im Beton nicht vermeiden lassen. Je nach geforderter Eigenschaft können die Risse verkleinert werden, dafür muss jedoch ein höherer finanzieller Aufwand in Kauf genommen werden.

Bei den hier betrachteten Überlegungen zur Minimierung von auffälligen Rissen muss jedoch auch klargestellt werden, dass die Rissbreitenbeschränkung überwiegend der Dauerhaftigkeit des Betonbauteils dient. Überlegungen zur Optik spielen erst an zweiter Stelle eine Rolle. Deutlich wird dies auch bei Sichtbetonbauteilen. Für Betonbauteile, die nicht beschichtet oder verkleidet werden, gibt es eine Reihe von Empfehlungen und Richtlinien, in denen die Oberflächenqualität definiert wird. Angaben zur maximalen Rissgröße finden sich in diesen Regelwerken jedoch nicht.